Seid Barmherzig

Als im Juni 1859 sich der Genfer Kaufmann Henry Dunant auf dem Weg durch Norditalien befand, wurde er am Rande des Dorfes Solferino Zeuge einer schrecklichen Schlacht. Ca 40.000 Verwundete und Tote waren deren Resultat. Die Sanitätstruppen waren dieser Situation nicht gewachsen, sodass Dunant spontan und entschlossen seine Hilfe zur Verfügung stellte und tatkräftig ein behelfsmäßiges Hospital in der Dorfkirche einrichtete. Für ihn bot es Grund genug nicht mehr tatenlos zu bleiben, sodass er später die Internationale Rotes Kreuz Bewegung mitbegründete und an der Verabschiedung der Genfer Konvention mitwirkte.

Jesus kam oft in solche Situationen der Not. Und wenn wir davon in der Bibel lesen, lesen wir nicht, wie er eiskalt blieb. Wir lesen oft, dass er zutiefst bewegt war. Mitleid ergriff ihn. Die alten Übersetzungen berichten häufig davon: „es jammerte ihn“. Ich finde, dies drückt die Intensität seines Mitgefühls nochmals viel deutlicher aus! Es macht sein tiefes Schluchzen über die Not für uns hörbar.

Doch weil Jesus geprägt war von Mitgefühl, Warmherzigkeit und Liebe, können wir anhand seines Lebens das barmherzige Wesen Gottes gut erkennen und sehen, wie er der Erlöser in der Not der Menschen wurde. Genau dahin führt uns auch diesjährige Jahreslosung 2021:

Für mich bildet dieser Bibelvers 3 Schwerpunkte

  1. Er ruft er mich dazu auf, barmherzig zu sein!
  2. Er erinnert mich, dass unser himmlischer Vater, Gott voller Barmherzigkeit ist.
  3. Er stellt meine gelebte Barmherzigkeit in die richtige Relation & Intensität. Denn meine Barmherzigkeit soll sich an der Barmherzigkeit Gottes orientieren und ihr nacheifern!

Ja um es mit Epheser 5,1 nochmals zu verdeutlichen: „werdet also Nachahmer Gottes – ihr seid doch seine geliebten Kinder – und lasst euer Verhalten von der Liebe bestimmen, so wie auch der Messias seine Liebe bewiesen hat, als er sein Leben für uns hingab …“

Für mich gibt es einen Unterschied zwischen Mitleid und Barmherzigkeit. Denn nach meinem Verständnis ist Mitleid ein Gefühl, das durch das Leid eines anderen ausgelöst wird. Mitleid kann mich entweder lediglich traurig machen oder auch zu einer Aktion der Anteilnahme führen, um das Leid des anderen zu verringern. Mitleid fühlt immer und sagt sich „das hätte auch mir passieren können“.
Doch Mitleid ist die Voraussetzung für Barmherzigkeit. Wir sehen es bei Jesus. Sein Mitleid äußerte sich im „es jammerte ihn“ (bspw. in Mk 1,41) als er einen Mann voller Aussatz sieht. Doch er nahm Anteil, indem er den Aussätzigen berührte1. Doch Jesu Barmherzigkeit wurde sichtbar, indem er den Aussätzigen heilte und so seine Not von ihm nahm. Diese Barmherzigkeit ist eine Motivation, die für andere das Beste will und deshalb für das vollständige Gelingen handelt.

Diese Eigenschaft können wir ganz besonders in Jesus und bei Gott dem Vater sehen. Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft Gottes. Gott ist Barmherzigkeit wichtig! Er will das wir barmherzig sind! Und er fördert das Tun derer, denn er legt Segen auf den barmherzig Handelnden. (vgl. Seligpreisungen Mt 5,7 oder Ps 41,2).

Doch oft verlieren wir das aus dem Sinn. Deshalb lohnt es sich diese Barmherzigkeit ein ganzes Jahr im Blick zu halten.

1 Zur damaligen Zeit schloss man die Kranken aus Angst vor Ansteckung aus der Gesellschaft aus. Heutige medizinische Erkenntnisse lehren das eine Isolierung nicht notwendig ist.

3 Gleichnisse voller Barmherzigkeit

Jesus erzählt seinen Jüngern drei Gleichnisse, die uns Barmherzigkeit lehren und somit eine gute Gedankenstütze für das alltägliche Handeln sind.

Wir lernen Gottes Barmherzigkeit kennen im Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,20-44). Wie erbärmlich muss der Sohn nach seiner Rückkehr ausgesehen haben, aber der Vater erbarmt sich seiner. Voller Mitleid rennt er auf ihn zu. Er nimmt den eigentlichen Verräter wieder in seine Arme und versorgt den fasst Verhungerten mit Überfluss an Freundlichkeit und Essen. Natürlich hätte er in der Türschwelle stehen bleiben können, wartend bis der Sohn ihn um Gnade anfleht. Doch tut er es eben nicht.
Jesus erzählt uns dieses Gleichnis vom Verlorenen Sohn, nicht um ’ne theaterreife Geschichte rauszuhauen. Nein, es ist die Antwort auf die Debatte eine Gruppe von Pharisäern, die sich am Umgang Jesu mit dem „sündigen Klientel“ der Stadt stören. Doch Jesus vermittelt auf diese Weise, dass jeder Mensch in der Situation des verlorenen Sohnes steckt und zu Gott umkehren darf. Ja, dass selbst die Not, die die Sünde in die Welt brachte, beim Vater genommen wird und die Sohnschaft wiederhergestellt wird. Ganz egal wie die persönliche Vorgeschichte aussah.

Denn Gottes Barmherzigkeit ist sichtbar geworden,
mit der er alle Menschen retten will.

Titus‬ ‭2:11‬

Im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) lernen wir, wie wir selbst in Barmherzigkeit handeln sollen. Das Handeln in Barmherzigkeit kommt immer ungelegen. Es ist nicht planbar. Auf einmal lag der Mann dort am Straßenrand. Alle 3 Passanten waren gefragt doch nur einer handelt. Es ist auffällig, dass gerade die „Gläubigen“ im Gleichnis nicht barmherzig handeln und den von Räubern fast zu Tode geschlagenen links liegen lassen.

Unbarmherzigkeit entsteht aus der Frage. Was sind die Folgekosten? Sie lässt sich davon einschüchtern: Was wenn ich dem helfe? Welchen Aufwand habe ich dann mit ihm? … Doch wer die Folgekosten nicht im Blick hat, rechnet nicht mit Gottes einschreiten! Denn sein Wort sagt:

Wie glückselig sind die Barmherzigen!
Ihnen wird Gott seine Zuwendung schenken

Seligpreisungen, Mt. 5,7

Klüger wäre es nicht die materiellen Folgekosten, sondern die immateriellen Folgen im Blick zu haben. Gerade als Nachfolger Jesu liegt darin doch das Bestreben, Gott in seiner Zuwendung zu erleben. Aber warum haben der Levit und der Priester das nicht im Sinn? Sind sie vielleicht von negativen Erlebnissen gehemmt? Wurden sie zu oft ausgenutzt? Welche Begründungen sie auch haben, negative Folgen heben das göttliche Prinzip nicht auf. Auch Jesus hat immer wieder barmherzig gehandelt.
Dennoch ist es auf Dauer gut nicht unstrukturiert zu helfen, eben doch die Konsequenzen im Blick zu behalten. Der barmherzig Samariter gibt seiner Tat Struktur, damit ein Heil auf beiden Seiten möglich ist. Er bindet nach der Ersten Hilfe andere Helfer mit in „das Projekt“ ein. So wird es von vielen getragen und bleibt kein Solounternehmen, welches ihm zum Armen Rittern schlägt. Es ist ein kleiner Hinweis, dass jede helfende Organisationen darüber nachdenken sollte.

Auf verschiedene Weise ermahnt uns Jesus selbst nicht unbarmherzig zu sein – besonders weil wir als Gotteskinder Gottes Barmherzigkeit erhalten haben. Denn sonst ergeht es uns womöglich wie dem Schalksknecht im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Mt 18, 21-35). Ihm wurde selbst ein unmenschliche hohe Schuld erlassen, doch selbst konnte er eine Bagatelle nicht vergeben. Mich hat gerade dieses dritte Gleichnis ermahnt, die mir geschenkte Barmherzigkeit Gottes nicht zu vergessen und in gleicher königlicher Güte zu handeln. Jenes dritte Gleichnis erzählte Jesus seinen Jüngern, weil sie fragten: „Wie oft muss ich noch … wie oft muss ich noch dem anderen Vergeben?“ Er lehrt, dass ein Mangel an Vergebungsbereitschaft ein selbst unbarmherzig werden lässt. So wie eben jenen Knecht. Mich hat das erschrocken gemacht. Das ein nicht hinwegsehen, ein nicht vergeben solch einen Strudel des unbarmherzigen Handels nach sich ziehen kann.

Es ist also gut, wenn wir uns nicht nur 2021 mit der Barmherzigkeit beschäftigen und uns von Gottes Charakterzug formen lassen. Also:

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist

Lukas 6,36


Gottes Segen.